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Gemeinsam bleibt gemeinsam

Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

Schon im Sommer hatten wir kritisiert, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Angebot, die Unternehmen könnten bis zu 3.000 Euro steuerfrei als Inflationsausgleich an die Beschäftigten zahlen, auf unzulässige Weise in unsere Tarifverhandlungen eingemischt und damit die Tarifautonomie in Frage gestellt hätte.

Auf dem Gewerkschaftstag der EVG wiederholte der Kanzler sein Angebot: „Macht davon Gebrauch“, hatte er in seiner Begrüßungsrede gesagt – dabei aber verschwiegen, dass es die bis zu 3.000 Euro von den Unternehmen nicht „als Geschenk“ oben draufgeben wird. Die müssten von diesen erst einmal erwirtschaftet werden.

Gleichwohl würde eine „Einmalzahlung“ insbesondere jenen Kolleginnen und Kollegen kurzfristig helfen, die gerade in großer Sorge sind – angesichts der derzeitigen enormen finanziellen Belastungen. Das ist uns als Gewerkschaft völlig klar.

Und doch lehnen die Tarifpolitiker in der EVG die Zahlung eines Inflationsausgleichs ab, solange die Arbeitgeber nicht verbindlich erklären, eine solche Zahlung auf keinen Fall auf die Tarifrunde 2023 anzurechnen. Genau das wird aber passieren, wie erste Beispiele in anderen Branchen zeigen.

Wir haben die EVG-Vorstandsmitglieder Cosima Ingenschay und Kristian Loroch gebeten, uns zu erläutern, mit welcher Strategie das beste Ergebnis für die Mitglieder der EVG zu erreichen ist. Beide sind seit dem Gewerkschaftstag als Doppelspitze für den Tarifbereich verantwortlich.

EVG-Express: So manche Kollegin und mancher Kollege, die oder der von Existenzsorgen geplagt wird, wäre wahrscheinlich froh, 3.000 Euro als Einmalzahlung zu erhalten, um in den nächsten Monaten über die Runden kommen zu können. Was spricht aus Eurer Sicht gegen eine solche Zahlung?

Cosima Ingenschay: Ich möchte das noch einmal aufgreifen: Ganz aktuell hilft eine solche Zahlung sicherlich. Aber eben nur einmal. Das sagt ja schon der Name. Wir wollen hingegen einen zukunftsfesten Inflationsausgleich. Denn die Lebenshaltungskosten werden zunächst einmal hoch bleiben. Was ist, wenn die 3.000 Euro ausgegeben sind, sich die Preise aber nicht auf das Level, das sie vor der Krise hatten, zurückentwickeln oder überhaupt erstmal entspannt haben?

Kristian Loroch: Deshalb brauchen wir eine spürbare Lohnerhöhung. Und wir müssen sicherstellen, dass das Geld, dass der Arbeitgeber zahlt, in die Lohntabellen einfließt, damit es dauerhaft bei unseren Mitgliedern ankommt. Wenn wir in der Tarifrunde 2023 fordern, dass die Löhne unserer Mitglieder im Monat um beispielsweise 300 Euro steigen müssen, dann würde sich das Lohnplus in zehn Monaten auf 3.000 Euro summieren. Ab dem elften Monat liegen wir mit 3.300 schon über dem maximal möglichen Inflationsausgleich; nach einem Jahr sind wir schon bei 3.600 Euro.

Cosima Ingenschay: Setzen wir durch, dass alle Kolleginnen und Kollegen 500 Euro im Monat mehr bekommen, hat jeder schon nach sechs Monaten 3.000 Euro mehr in der Tasche. Nach einem Jahr stehen für Jeden und Jede mindestens brutto 6.000 Euro mehr zur Verfügung. Und diese 6.000 Euro gibt es in jedem Jahr mehr. Bei einer Einmalzahlungen gibt es solche Lohnsteigerungen nicht.

EVG Ingenschay Einmalzahlung

EVG-Express: Trotzdem nochmal die Frage: Eine Kombination aus Einmalzahlung und prozentualer Erhöhung oder eine Einmalzahlung zusätzlich zu einer Lohnerhöhung könnt Ihr Euch nicht vorstellen?

Kristian Loroch: Bislang haben uns die Arbeitgeber noch nie etwas geschenkt. Nicht einen Cent. Alles, was es an tariflichen Leistungen gibt, haben wir in schwierigen Verhandlungen erstreiten müssen. Das wird auch jetzt so sein. Umsonst kriegen wir gar nichts.

Wenn wir jetzt eine Einmalzahlung fordern würden, würde uns dieses Geld in der nächsten Lohnrunde angerechnet werden. Das macht beispielsweise der Abschluss der IG BCE deutlich. Dort wurde eine Netto-Entlastung von bis zu 15,6 Prozent erstritten: zweimal 1.500 Euro Einmalzahlung sowie insgesamt 6,5 Prozent mehr Geld.

Cosima Ingenschay: Unsere Kolleginnen und Kollegen haben aber deutlich gemacht, dass sie einen prozentual deutlich höheren Abschluss erwarten. Den werden wir nur in harten Tarifverhandlungen durchsetzen können.

EVG-Express: Eine Einmalzahlung würde das Volumen verringern, über das wir verhandeln können?

Kristian Loroch: Genau. Wir brauchen in der jetzigen Situation einen möglichst hohen, dauerhaften Inflationsausgleich. Am Ende zählt, was die Kolleginnen und Kollegen jeden Monat – und nicht nur kurzfristig mehr in der Tasche haben.
Das ist für uns eine zielführende Tarifpolitik, für die die EVG steht.

EVG Loroch Einmalzahlung

Cosima Ingenschay: Wir dürfen nicht Erwartungen wecken, die letztlich genau das Gegenteil von dem bewirken, was wir wollen – auch wenn sich die Forderung nach einem Inflationsausgleich vielleicht gut anhört.

EVG-Express: Das könnten sich auch die Arbeitgeber zu Nutze machen und uns in der Tarifrunde 2023 ein „vergiftetes Angebot“ unterbreiten, indem sie den Vorschlag des Kanzlers aufgreifen und uns eine Einmalzahlung als Inflationsausgleich vorschlagen. Möglicherweise in der Hoffnung, dass viele unserer Mitglieder darauf anspringen.

Kristian Loroch: Für ausgeschlossen halte ich das nicht, zumal das in anderen Branchen schon passiert. Den Kolleginnen und Kollegen von der IG Metall haben die Arbeitgeber beispielsweise lediglich 3.000 Euro Inflationsausgleich vorgeschlagen, nicht einen Cent Lohnerhöhung, dafür eine Laufzeit von 30 Monaten. Ein Angebot will ich das gar nicht nennen. Schon die Laufzeit ist eine Unverschämtheit. Wir wollen eine möglichst kurze Friedenspflicht, um zeitnah auf kommende Entwicklungen reagieren zu können.

EVG-Express: Offensichtlich scheint die Einmalzahlung für die Arbeitgeber interessant zu sein?

Cosima Ingenschay: Für die Arbeitgeber wäre die Zahlung eines Inflationsausgleich eine feine Sache. Der kostet zwar Geld, aber nur einmal, weil er nicht in die Tabelle fließt. Damit wird ein Ansteigen der Löhne – das eigentliche Ziel von Tarifverhandlungen – verhindert. Für die Beschäftigten ist das ein ganz schlechtes Geschäft. Wir wollen eine tabellenwirksame Lohnerhöhung und damit einen dauerhaften Inflationsausgleich in allen 50 Unternehmen, für die wir ab Februar 2023 verhandeln werden.

Kristian Loroch: Denn mit jeder Lohnerhöhung schaffen wir eine neue, bessere Absprunghöhe für die nächsten Tarifrunden. Genau das kann der Inflationsausgleich nicht leisten. Das Durchzusetzen wird nicht einfach werden. Wir stellen uns auf harte und schwierige Verhandlungen ein. Gemeinsam werden wir am Ende erfolgreich sein.

EVG Loroch und Ingenschay