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Gemeinsam bleibt gemeinsam

Die Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn sind gescheitert. Der letzte Verhandlungsstand konnte die Mitglieder der Zentralen Tarifkommission nicht überzeugen. Vor allem zwei Punkte standen im Mittelpunkt der Kritik: Zum einen, dass die erste Lohnerhöhung erst im Dezember dieses Jahres erfolgen und dann auch nur 200 Euro betragen soll. Zum anderen, dass der neue Tarifvertrag 27 Monate lang gelten würde, bevor neu verhandelt werden kann.

Zu spät, zu wenig, zu lang – so die Einschätzung der Kolleginnen und Kollegen. Wie es nun weitergeht und wie es um die Verhandlungen bei den nichtbundeseigenen Bahnen (NE-Bahnen) steht, darüber haben wir mit den beiden Tarifvorständen der EVG, Cosima Ingenschay und Kristian Loroch, gesprochen.

Imtakt: Der Bundesvorstand der EVG ist der Empfehlung der Zentralen Tarifkommission gefolgt und hat das Scheitern der Tarifverhandlungen erklärt. Daraufhin wurde beschlossen, eine Urabstimmung vorzubereiten. Nun sind wir in einem Schlichtungsverfahren. Wie passt das zusammen?

Cosima: Das passt gut zusammen. Die Kombination von Schlichtung und Urabstimmung bedeutet für uns direkte Mitgliederbeteiligung. Jede Kollegin und jeder Kollege bei der DB AG, die in einem Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbandes MOVE beschäftigt ist, wird entscheiden können, ob das Ergebnis der Schlichtung akzeptabel ist oder in einen unbefristeten Arbeitskampf eingetreten werden soll. Die Urabstimmung führt dann in den unbefristeten Streik, wenn sich mindestens 75% der Abstimmenden für diesen Weg entschieden.

Kristian: Die Verhandlungen über eine Schlichtungsvereinbarung waren erfolgreich und der Bundesvorstand hat dieser am 11. Juli mehrheitlich zugestimmt. Derzeit sind wir mitten in der Schlichtung. Für die Dauer der Schlichtung gilt der Grundsatz „Schlichten und Schweigen“, damit die unparteiische Schlichterin und der unparteiische Schlichter unbeeinflusst ihre Arbeit verrichten können. Sobald das Ergebnis vorliegt – und das sollte möglichst schnell der Fall sein – startet die Urabstimmung . Die Kolleginnen und Kollegen brauchen jetzt endlich mehr Geld. Allerdings benötigen wir für die Urabstimmung auch genügend Zeit: Alle sollen sich trotz Urlaubszeit beteiligen können. Ende August könnten wir einen Tarifvertrag und damit mehr Geld haben, wenn nicht für den unbefristeten Streik gestimmt wird.

Imtakt: In der Tarifrunde 2023 geht es durchaus vorwärts. Bei mehr als 20 NE-Bahnen gibt es mittlerweile Tarifabschlüsse. Vereinbart wurden bei allen eine Lohnerhöhung über 420 Euro in zwei Schritten, zuzüglich einer Inflationsausgleichsprämie. Zahlreiche unternehmensspezifische Forderungen konnten zudem umgesetzt werden, bei einer Laufzeit von 21 Monaten.

Cosima: Bei diesen NE-Bahnen konnten wir unser politisches Ziel der Tarifrunde durchsetzen: eine für alle gleiche Lohnerhöhung. Das war unser gemeinsames Ziel beim Forderungsbeschluss in Fulda. Interessant ist, dass es diesmal die Wettbewerbsunternehmen der DB AG sind, die den Maßstab setzen. Bisher schienen sie sich oft verpflichtet zu fühlen, das zu übernehmen, was bei der DB AG zuvor vereinbart worden war. Jetzt ist es genau umgekehrt kommen: Die NE-Bahnen übernehmen Verantwortung und zeigen, dass sie auf unsere Forderung eingehen: keine Unterschiede in der Bezahlung. Der 50-stündige Warnstreik bei den NE-Unternehmen hat seine Wirkung gezeigt.

Imtakt: Sind 420 Euro mehr dann auch das Ziel bei der DB AG? Vielen dürften noch die 650 Euro mehr im Ohr klingen, die wir gefordert hatten.

Kristian: In welcher Höhe wir bei der DB AG abschließen, oder den anderen Unternehmen, in denen wir noch verhandeln, das entscheiden einzig die jeweiligen Tarifkommissionen. Unser Anspruch in der Tarifrunde 2023 ist: Wir wollen solidarisch sein, gemeinsam mehr erreichen. Die „Starken“ wollen auch für die eintreten, die aus eigener Kraft keine so hohen Abschlüsse tätigen können. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl soll die Stärke der EVG bleiben.

Imtakt: Das hört sich so an, als ob sich ein potenzieller Abschluss an dem orientieren würde, was für alle umsetzbar ist und nicht an dem, was in einzelnen Bereichen maximal möglich wäre.

Cosima: Das ist unser vereinbartes Ziel und das entspricht unserem Forderungsbeschluss im Februar 2023: Wir wollen einen Tarifabschluss, der für alle gilt. Das ist eine große Herausforderung, denn Solidarität kann auch wehtun, wenn man von eigenen Vorstellungen Abstand nehmen muss, damit das große Ganze nicht auseinanderbricht. Mit den Strukturanpassungen bei den Funktionsgruppen nehmen wir aber zusätzlich notwendige Entgelterhöhungen in den Blick: Zum Beispiel Werkstattmitarbeiterinnen und Werkstattmitarbeiter oder Fahrdienstleiterinnen und Fahrdienstleister.

Kristian: Wir verhandeln in der Runde mit der DB AG auch zahlreiche Busgesellschaften. Vielen geht es wirtschaftlich schlecht, der Arbeitgeber will sie deshalb aus unserer gemeinsamen Runde herausbrechen. So will er für die meisten Busunternehmen individuelle und damit deutlich niedrigere Abschlüsse erzielen. Das haben wir bislang verhindert.

Mehr noch: In den bisherigen Verhandlungen konnten wir dem Arbeitgeber die Zusage abringen, dass jede Busfahrerin und jeder Busfahrer bei einem potenziellen Abschluss die 400 Euro mehr im Monat bekommen wird, die zum damaligen Zeitpunkt auch für alle anderen auf dem Tisch lagen.

Cosima: Hätte jede Busgesellschaft für sich allein verhandelt, wäre ein solcher Verhandlungsstand für die meisten nicht möglich gewesen. Das geht nur, weil wir solidarisch zusammenstehen. Und weil die Kolleginnen und Kollegen bereit sind, selbst etwas in die Runde einzubringen. Das kann ein schmerzhafter Kompromiss werden, aber wahrscheinlich ist nur so ein gemeinsamer Abschluss möglich. Damit wird ein Beitrag zur gelebten Solidarität auch unter den einzelnen Busunternehmen geleistet.

Imtakt: Dennoch sind für viele die 650 Euro der Maßstab, die wir ja mindestens erreichen wollten, bei einer möglichst kurzen Laufzeit.

Cosima: Die Tarifkommissionen haben im Februar beschlossen, als soziale Komponente 650 Euro mehr zu fordern, damit die unteren Lohngruppen maximal profitieren. Alternativ soll es 12 Prozent mehr geben, was für die höchsten Lohngruppen etwas mehr als 650 Euro bedeutet hätte. Deshalb die Formulierung „mindestens“. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass bei Tarifverhandlungen die Forderung nicht dem Ergebnis entspricht. Wir haben gut daran getan, eine hohe Forderung aufzustellen. Nur so kommen wir in die Nähe des Ergebnisses, das wir uns vorgestellt haben.

20230502 DB AG

Imtakt: Bevor die Verhandlungen für gescheitert erklärt wurden, habt Ihr wochenlang intensiv mit der DB AG verhandelt. Auf 140 Seiten Papier wurden mögliche Vereinbarungen festgehalten. Um was ist es da im Einzelnen gegangen?

Kristian: Wir haben uns in wesentlichen Punkten angenähert. Neben Mindestlohn und Einbindung der Busgesellschaften konnten wir beispielsweise die bislang unterschiedliche Bezahlung für gleiche Tätigkeiten gerade zwischen Ost und West beenden. Dafür kämpft der Dienstleistungsbereich seit mehr als 20 Jahren.

Wir haben außerdem den Einstieg in dringend notwendige Strukturverbesserung geschafft. Diese sollten für die Funktionsgruppen 1 und 3 am Ende der Laufzeit geregelt werden, verbunden mit der Selbstverpflichtung, das gleich zu Beginn der nächsten Tarifrunde alle übrigen Funktionsgruppen nachzuholen. Wir konnten die Fortführung der Fonds sicherstellen und noch dazu eine steuerfreie Geldleistung für die Mitglieder vereinbaren, die besondere Teilzeit im Alter wäre verlängert worden, ebenso der Betriebsrentenzuschuss-Tarifvertrag. Dabei ist es uns wichtig, Verschlechterungsideen des Arbeitgebers abzuwehren. Gelungen ist uns dies z.B. bei der Einschränkung des Wahlmodells und der Abschaffung des sogenannten sollmindernden Vortrags – beides bleibt nach heutigem Verhandlungsstand zugunsten der Kolleginnen und Kollegen erhalten. Allerdings müssen wir uns in dieser Tarifrunde auch mit einer Vielzahl absurder Arbeitgeberforderungen, wie der Verlängerung der Kündigungsfristen zu Lasten der Kolleginnen und Kollegen befassen. Wer glaubt ernsthaft, damit Menschen halten zu können, von der inneren Kündigung abzuhalten oder neue für ein Unternehmen gewinnen zu können?

Imtakt: Viele Kolleginnen und Kollegen bemängeln die Intransparenz bei den Verhandlungen. Warum war es nicht möglich, schon früher Inhalte deutlich zu machen?

Cosima: Diese Kritik können wir gut verstehen. Seit Ende Februar wird verhandelt. Aber mehr als die Information darüber, dass der Arbeitgeber 8, 10 oder 12 Prozent mehr Lohn anbietet, dringt bei der DB AG nicht nach draußen. Das ist unbefriedigend.

Tarifverhandlungen sind sehr fragil. Die Punkte, die wir jetzt angesprochen haben, geben den letzten Verhandlungsstand wieder, ein offizielles Angebot ist das nicht. Bis ein Angebot vorliegt, wird um jedes Detail gerungen und manche Vereinbarung wieder einkassiert, um Verbesserung an anderer Stelle zu erreichen. So lange nicht feststeht, welches Angebot letztendlich auf dem Tisch liegt, halten wir es nicht für klug, einzelne Verhandlungsstände zu veröffentlichen, die am Ende ganz anders aussehen. Da heißt es dann schnell, „Ihr hattet doch …“

Imtakt: Die DB AG hat diese Tarifrunde durch zahlreiche eigene Forderungen belastet. Wie seid Ihr damit umgegangen?

Kristian: Die Wesentlichen haben wir abgewehrt. So haben wir es abgelehnt, über die Forderungen, die zusätzlichen Urlaubstage im EVG-Wahlmodell zu halbieren oder den sollmindernden Vortrag zu streichen, überhaupt zu verhandeln. Anderen Forderungen, wie beispielsweise die, die Arbeitszeiten im Cargo-Bereich mehr den betrieblichen Erfordernissen anzupassen, hätten wir, in Absprache mit der zuständigen Tarifkommission, zugestimmt, weil wir so auch die Cargo-Kolleg:innen in voller Höhe am Tarifabschluss teilhaben lassen können.

Imtakt: Wie geht es jetzt weiter, im Tarifkonflikt?

Kristian: Wir müssen die DB AG dazu bringen, das Volumen zu erhöhen – es muss mehr Geld in den Topf. Das Gesamtpaket, über das wir zuletzt verhandelt haben, ist in Ordnung. Wir müssen die Laufzeit verkürzen, und bei einer zweistufigen Lohnerhöhung muss es früher deutlich mehr Geld geben. Was bislang seitens der DB AG angeboten wurde, ist nicht abschlussfähig. Die Menschen brauchen dringend und schnell mehr Geld.

Imtakt: Bei der Lohnerhöhung von 420 Euro, wie wir sie jetzt im NE-Bereich durchgesetzt haben, seht Ihr keine Spielräume mehr?

Cosima: Wir müssen das Gesamtergebnis im Blick haben. Der Auftrag, den die Tarifkommissionen uns im Februar in Fulda mitgegeben hat, lautete, möglichst einen gleich hohen Abschluss für alle zu erzielen. Da sind wir jetzt auf einem guten Weg. Eine Lohnerhöhung von 420 Euro gab es noch nie in der Geschichte der gesamten EVG – und das unter äußerst schwierigen Rahmenbedingungen.

Imtakt: Aber die Laufzeit bleibt deutlich höher als gefordert, oder?

Kristian: Wenn wir unsere Forderungen durchsetzen wollen, werden wir bei der Laufzeit Kompromisse machen müssen. Sonst kann das Gesamtpaket, über das wir zuletzt verhandelt haben, nicht finanziert werden. Die angestrebten Strukturverbesserungen und die Angleichung der regionalen Unterschiede in der Bezahlung sind teuer: Rund 1,7 Milliarden Euro müssten insgesamt aufgewendet werden, um alle unsere Forderungen zu erfüllen.

Imtakt: Wie geht es nun weiter?

Kristian: Jeder muss sich ernsthaft fragen, ob wir an unserem vereinbarten Ziel, einen gemeinsamen Abschluss zu erzielen, festhalten wollen. Wir möchten das und stellen jetzt das Gemeinsame ganz nach vorn. In den Tarifverhandlungen bei der DB AG haben wir deshalb das Motto konkretisiert. Aus „Gemeinsam geht mehr“ ist „Gemeinsam bleibt gemeinsam“ geworden.

Cosima: Wir sollten jetzt in Ruhe bewerten, wo wir stehen. Wichtig ist, sich nicht von jenen beeinflussen zu lassen, deren einziges Ziel es ist, die EVG schlecht zu reden und zu spalten.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch und Eure persönlichen Einschätzungen.